Von Tiefen und Abgründen

Dreht Frank Giering gerade nicht für den Kriminalisten, nutzt er den Rest des Jahres meist für anspruchsvollere Projekte. Eine weitere Traumrolle ist für ihn dabei die Figur des Thomas Hudetz in dem österreichischen Drama Freigesprochen, in der er einen Menschen spielt, der an seiner Schuld zu zerbrechen droht. [1]

»Mich interessiert es, Menschen zu spielen, die irgendwann Schuld auf sich geladen haben. Niemand ist einfach nur böse. Da hat einer vielleicht ein Verbrechen begangen, hat es minutiös geplant oder in einem Moment die Nerven verloren, er hatte jedenfalls seine Gründe. Und nun versucht er, irgendwie weiterzuleben, zu verdrängen. Das Thema Schuld und Sühne beschäftigt mich sehr. Jeder macht Fehler im Leben, die er ungeschehen machen möchte.« [2]

Die gleiche Faszination hat für ihn die Ergründung des Bösen. »Dass es jeder in sich trägt und gleichzeitig aber auch verdrängen möchte. Das ist so, als ob man einem Menschen begegnet, der äußerlich völlig entstellt ist. Eigentlich will man nicht hingucken, aber man tut’s dann doch, fast so, als ob man magisch davon angezogen wird.« [3]

Sein Anspruch ist es, auch immer den Menschen hinter der Figur, die Hintergründe seiner Taten aufzuzeigen. Sei es im hochgelobten Tatort: Der glückliche Tod oder auch im Fernsehfilm Der Tote in der Mauer.

»Tiefen und Abgründe sind reizvoll. Auch wenn ich eine Bestie spiele, will ich sie als Mensch darstellen. Ich will keine Entschuldigung liefern, aber der Zuschauer soll die Figur ein Stück weit verstehen können. Denn die meisten sind nicht von Grund auf böse, sondern weil irgendetwas in ihrem Leben schiefgelaufen ist.« [4]

Frank Giering während einer Drehpause zum Fernsehfilm »Der Tote in der Mauer« (November 2007) / ©picture-alliance / dpa / Ingo Wagner
Frank Giering während einer Drehpause zum Fernsehfilm »Der Tote in der Mauer« (November 2007) / ©picture-alliance / dpa / Ingo Wagner

Wie überragend es ihm gelingt, seinen eigenen Anspruch umzusetzen, beweist eine Kritik im Tagesspiegel: »Keiner kann wie Frank Giering das Böse so spielen, dass man dabei nicht an das Gute glauben möchte. Das ist oft irreführend, enttäuschend und brillant zugleich.« [5]

In einer seiner letzten Rollen spielt Frank Giering den aggressiven Thomas in Aelrun Goettes Fernsehfilm Keine Angst, »einen Macho, dem der Boden unter den Füßen fehlt und der mit seiner Angel zwischen den alleinerziehenden Müttern und deren Betten hin- und herwandert. Bier trinkend und nutzlos, wütend und brutal.« [6] In einer Szene wird er die 14-jährige Tochter seiner Freundin vergewaltigen müssen. Bei dieser Szene wird er genauso viel Angst haben wie seine 17-jährige Schauspielpartnerin. [7] Vielleicht sogar noch etwas mehr. Man spürt, dass die Regisseurin hier auch zugleich als Therapeutin fungieren musste. Und dass niemand bei den Dreharbeiten so viel Unterstützung benötigte wie der Täterdarsteller Frank Giering. [8] Noch ein Jahr später kann er sich nicht dazu überwinden, den Film anzuschauen. »Beim Spielen kann ich das total abschalten und ausblenden, dass das, sage ich mal, widerwärtig ist, und das dann um so mehr darstellen. Aber mir das dann anzugucken… da habe ich so eine gewisse Scheu vor. Es gibt natürlich gewisse Situationen, wo man sich Filme anschauen muss – und ich werde mir den Film auch auf jeden Fall noch anschauen – aber bisher habe ich mich immer noch so ein bisschen vor gescheut.« [9]

Auf die Frage, wie er sich der Figur angenähert habe und wie er es geschafft habe, den schmierigen Tonfall dieser Rolle so gut zu treffen, gibt er an: »Das ist bei mir bei vielen Rollen so: wenn ich das Drehbuch lese, dann… manchmal habe ich so ein bisschen das Gefühl, als wäre ich ein Autist. Ich lese das und kann dann so eine Symbiose eingehen: den Text habe ich ja im Prinzip vorgegeben und kann mich dann so hineinfühlen. Und über dieses Gefühl bekomme ich dann auch die gewisse Körperlichkeit bzw. den Tonfall in der Sprache. Das äußert sich dann letztendlich wiederum in verschiedenen Gesten oder in der Art und Weise, wie man guckt, wie man spricht, wie man betont – was ich vorher noch gar nicht weiß; das entsteht dann auch mit der Atmosphäre an einem Set. Ich kann da jetzt also gar nicht sagen, dass ich mich da vorher extrem vorbereite oder irgendwelche Studien mache – das habe ich noch nie gemacht – sondern dass ist für mich immer etwas, wo ich einfach nur sagen kann: Danke, lieber Gott, dass das so mit mir passiert.« [10]

In Interviews wirkt Frank Giering zunehmend nachdenklicher. »Bekannte raten mir: ›Du musst einfach mal zehn Frauen ansprechen, eine wird dann schon reagieren.‹ Gerade das kann ich eben nicht. Ich hab doch noch Träume. Es muss nicht alles zu einer bestimmten Zeit erreicht und abgehakt sein. Manche sagen, mit 40 bekäme man eine gewisse Gelassenheit. Ich weiß gar nicht, ob ich das anstrebe. (...) Unsere Zeit ist so viel schneller als wir selbst, die Gesellschaft verändert sich rasant. Kaum ein Job bleibt noch lebenslang erhalten, alles ist im Umbruch. (...) Als ich anfing, stand die Mauer noch. Und das Größte, was ich mir vorstellen konnte, war, dass ich mal in einem Film mitmachen darf. Dass alle Leute vom Neustädter Feld in Magdeburg, wo ich herkomme, sagen: ›Wir haben dich gesehen!‹ Diese Träume habe ich mir schon mehr als erfüllt.« [11]

Freie Zeit verbringt er nach wie vor am Liebsten allein. »Ich genieße es schon, wenn ich mal ein paar freie Tage oder Wochen habe. Ich schlendere gern durch Geschäfte, höre zu Hause Musik und guck mir DVDs an.« [12]

Und immer noch begibt er sich gerne auf eine Reise ins Innere seiner Seele. »Ich sitze gern allein irgendwo und träume. Aber mich sprechen schon auch bestimmte Landschaften an. Vor einem Jahr drehte ich den Film Der Tote in der Mauer, der kürzlich im ZDF lief. Wir drehten den Film in Norddeutschland, irgendwo bei Bremen. Die Atmosphäre dieser Landschaft hat sich auf alle übertragen, es ging viel gedämpfter zu als sonst, wenn ein Drehteam irgendwo anrückt. Man sah den Nebel, roch die Erde, das Moor, sah das Licht nach dem Regen. Es war wie ein Panoramabild. Ich hatte plötzlich das Gefühl: Hier wollte ich schon immer hin. Ohne zu wissen, dass es diesen Ort überhaupt gibt.« [13]

Zu dem Wort »Glück« hat er nach eigenen Bekunden keinen wirklichen Bezug. »Ehrlich gesagt ist Glück für mich nicht existent. Es ist für mich ein Wort, das Situationen bezeichnet, die für mich eher mit Dankbarkeit zu beschreiben sind. Wenn ich froh über etwas bin, das mir passiert ist. Oder darüber, dass es mir gut geht. Aber in solchen Momenten denke ich eher ›Gott sei Dank‹ als ›Glück gehabt‹.« [14]

Mit dem Zustand des »Glücklichseins« verbindet er den »Moment, in dem ich denke ›So soll es bleiben.‹« [15] Ende 2008 ist er diesem Zustand nach eigenen Angaben sehr nah. »Ich denke, ich bin auf einem guten Weg.« [16]


[1]     Hildebrandt, Antje: Der Nesthocker, in: Stuttgarter Zeitung vom 09.12.2006.

[2]     Schneider, Sabine: Ich gucke lieber, in: Leipziger Volkszeitung vom 31.01.2009.

[3]     Bankert, Elke: Der gute Böse, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 21.02.2003.

[4]     Hortig, Nina: Einfach ankommen, in: http://www.viva.de/film.php?op=tv&what=show&Artikel_ID=75182 abgerufen am 28.08.2012.

[5]     Hübner, Katja: Der Sentimentale, in: Der Tagesspiegel vom 24.02.2010.

[6]     Hübner, Katja: Der Sentimentale, in: Der Tagesspiegel vom 24.02.2010.

[7]     Barthel, Michelle et al.: Absturz eines Seiltänzers, in: Berliner Zeitung vom 03.07.2010.

[8]     Noack, Frank: Rot, aber sexy, in: Der Tagesspiegel vom 28.07.2010.

[9]     Interview Frank Giering, in: Thadeusz, Erstausstrahlung 09.03.2010, RBB.

[10]    Interview Frank Giering, in: Thadeusz, Erstausstrahlung 09.03.2010, RBB.

[11]    Liebisch, Annekatrin: Frank Giering: Ich bin gerne der Psychopath, in: http://www.monstersandcritics.de/artikel/200842/ article_107693.php/Frank-Giering-Ich-bin-gern-der-Psychopath, abgerufen am 28.08.2012.

[12]    Liebisch, Annekatrin: Frank Giering: Ich bin gerne der Psychopath, in: http://www.monstersandcritics.de/artikel/200842/ article_107693.php/Frank-Giering-Ich-bin-gern-der-Psychopath, abgerufen am 28.08.2012.

[13]    Schneider, Sabine: Ich gucke lieber, in: Leipziger Volkszeitung vom 31.01.2009.

[14]    Liebisch, Annekatrin: Frank Giering: Ich bin gerne der Psychopath, in: http://www.monstersandcritics.de/artikel/200842/ article_107693.php/Frank-Giering-Ich-bin-gern-der-Psychopath, abgerufen am 28.08.2012.

[15]    Liebisch, Annekatrin: Frank Giering: Ich bin gerne der Psychopath, in: http://www.monstersandcritics.de/artikel/200842/ article_107693.php/Frank-Giering-Ich-bin-gern-der-Psychopath, abgerufen am 28.08.2012.

[16]    Liebisch, Annekatrin: Frank Giering: Ich bin gerne der Psychopath, in: http://www.monstersandcritics.de/artikel/200842/ article_107693.php/Frank-Giering-Ich-bin-gern-der-Psychopath, abgerufen am 28.08.2012.